Für uns Wessi-Kinder meiner Generation war Englisch als erste in der Schule zu erlernende Fremdsprache eine Selbstverständlichkeit. Als meine Töchter und besonders die jüngere von beiden (17 Jahre jünger als ihre Schwester) die fünfte Klasse erreichten – die, in welcher üblicherweise mit dem Fremdsprachenunterricht begonnen wird – sah es schon etwas anders aus. Ich erinnere mich noch an die Elternversammlung, in der ein Vater äußerte, er würde seinen Sohn lieber auf eine Schule geben, an der die Möglichkeit besteht, als erste Fremdsprache Chinesisch zu lernen, denn Englisch könne ja heute jeder, und Leute mit chinesischen Sprachkenntnissen würden in der Zukunft von den Unternehmen gesucht werden. Damit hatte er wahrscheinlich recht, nur hatte er offenbar nicht bedacht, dass Leute ohne englische Sprachkenntnisse zunehmend ein Problem hätten. Ich denke, die nicht mehr ganz Jungen unserer Brüder und Schwestern in den immer noch als neu bezeichneten Bundesländern können das bestätigen – jedenfalls sofern sie Russisch und dann vielleicht auch noch Chinesisch in der Schule hatten, nur eben kein Englisch. Mit derselben Verve, mit der das Internet aus dem Silicon Valley in unsere heimatlichen Täler schwappte, war auch der Triumph des Englischen über alle anderen Sprachen – vorbereitet durch die Pop-Kultur – nicht mehr aufzuhalten.
Die Sache mit den Plansprachen hat sich – aus pragmatischer Sicht – ebenfalls erledigt, auch wenn z.B. Rubens Beserra noch in Esperanto dichtet. Und ich selbst bin über das Obsiegen der englischen Sprache keineswegs traurig. Es gibt schöner klingende Sprachen aber auch viel weniger melodische, und für jeden Nicht-Muttersprachler ist Englisch leichter zu erlernen als die meisten anderen Sprachen – auf jeden Fall leichter als Deutsch. Und dennoch war ich gestern überrascht, als mein Schwiegersohn mich fragte, ob ich Zeit hätte, einen flüchtigen Blick auf eine seiner wissenschaftlichen Arbeiten zu werfen, um – vom Fachchinesisch mal abgesehen, Fehler oder Unverständlichkeiten im Satzbau zu finden und gegebenenfalls zu verbessern. Keine Ahnung, wie ich zu dem Ruf komme, eine Expertin für englischen Satzbau zu sein. Und eben deswegen mauerte ich erst einmal ein bisschen und fragte zurück, warum denn er als deutscher Arzt dem deutschen Professor sein letzten Forschungsergebnisse auf Englisch unterbreiten müsse. Auf Latein, das würde ich ja noch verstehen – nicht die Sprache, aber die Notwendigkeit – aber … Weiter kam ich nicht. Herzliches Gelächter seitens meines Schwiegersohns und meiner gerade auch anwesenden Tochter. „Aber Mama, das läuft heute alles auf Englisch. Latein benutzt kein Mensch mehr.“
Ach nein?
Latein also auch vom Englischen hinweggefegt. Auch darüber sollte ich nicht traurig sein, war ich doch damals vom sprachlichen auf den naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums gewechselt, weil die tote Sprache mich derartig langweilte, dass ich mir die Vokabeln und die Konjugation einfach nicht merken konnte. Ich bin fast sicher, dass es mir heute gelänge, Latein zu erlernen. Auch wenn ich generell nicht mehr so schnell lerne wie ein junger Mensch, so ist doch die Einsicht in den Sinn, sich einen Lehrstoff zu erschließen, größer. Latein, diese zwar tote aber unvergleichlich präzise Sprache ist, möchte ich meinen, geeigneter als jede lebende Sprache naturwissenschaftliche Erkenntnisse festzuhalten. Lebende Sprachen verändern sich, und der Wortlaut eines Textes wird in hundert Jahren womöglich anders aufgefasst als heute. Ist Englisch also wirklich der endgültige Ausweg aus dem babylonischen Sprachgewirr? – Endgültig gewiss nicht, das beweisen schon die Probleme der Experten, die nicht nur nach Endlagerstätten für unseren Atommüll suchen, sondern auch nach einer Form der Kennzeichnung, die ein intelligentes Lebewesen auch in Tausenden von Jahren noch verstünde.
10. Februar 2018 at 16:50
Für Latein als gleichbleibende Wissenschaftssprache sprächen auch die vielen scheinbar englischen Begriffe wie z.B. application, student, computer…
11. Februar 2018 at 6:43
Genau. Gab es noch kein lateinisches Wort für eine neu entdeckte Spezies, Krankheit, Methode, was auch immer, wurde es aus dem Lateinischen heraus entwickelt und dem Wörterbuch zugefügt. Die Sprache verharrte ja nicht in der Zeit der Alten Römer. Ich frage mich, ob eine derartige Ergänzung noch stattfindet, wenn die praktische Anwendung in den Wissenschaften entfällt. Die Katholischen Kirche allein zum Hüter des Lateinischen zu machen, wäre in Zeiten, als die Wissenschaften noch in beträchtlichem Umfang in den Klöstern betrieben wurden, vielleicht denkbar gewesen bzw. das Lateinische hat sich wohl dadurch erhalten, aber in Zeiten schwindender Kirchen …?
10. Februar 2018 at 17:56
Ich hab mal gehört, dass englische linguisten beklagen, dass “echte“ Englisch würde total verkümmern, bzw. es würde sich durch die vielen wissenschaftlichen Publikationen in hingeschustertem englisch (“Hauptsache man versteht es“) vermatschen. Klingt plausibel.
Kennst du den Film “into eternity“? Da geht’s sehr ausführlich um die Beschriftung des noch zu findenden atomaren Endlagers. Sehr empfehlenswert!
11. Februar 2018 at 7:23
Das ist ein sehr interessanter Aspekt, über den ich noch nie nachgedacht habe. Dennoch bin ich bereit, das sofort zu bestätigen, denn um meinem Schwiegersohn den Gefallen zu tun und mir die Arbeit des „Fehlersuchens zu erleichtern, habe ich den Text in den Google Translator eingegeben. Ich dachte, da, wo die Übersetzung verdreht klingt, könnte eine falsche Satzstellung im Englischen der Grund sein. Zu meiner großen und in dem Moment positiven Überraschung bekam ich einen bis auf wenige Kleinigkeiten perfekten deutschen Text. Und das wiederum kann nur bedeuten, dass der englische Text in einem quasi internationalen, in Fachbüchern (und oft nicht von Muttersprachlern) verwendeten Englisch abgefasst ist, mit dem ein Übersetzungsprogramm nicht die geringsten Probleme hat. Für den Reichtum der englischen Sprache lässt das in der Tat Schlimmes befürchten.
Den Film „to eternity“ kenne ich noch nicht. Danke für den Tipp!
10. Februar 2018 at 21:17
fand ich interessant. Latein habe ich sieben Jahre lang auf der Schule gehabt, und ich war wohl die einzige, der das gefiel. Mein Verständnis für Grammatik und Syntax jedweder Sprache stammt aus jener Zeit. Inzwischen kann ich auch Griechisch, eine weit lebendigere Sprache – und damit meine ich nicht das Neugriechische, sondern die alte Sprache, die eine fantastische Plastizität hat. Wie sehr würde es der Wissenschaft gut tun, (alt)griechisch zu denken!
11. Februar 2018 at 7:12
Oh, es freut mich richtig, dass ich hier nicht nur zu hören bekomme, es sei doch höchste Zeit gewesen, alte Zöpfe abzuschneiden. Über Griechisch kann ich leider gar nichts sagen. Aber mein Großvater dem zwei Weltkriege und ein blöder Unfall, von dem ihm ein verkrümmter Finger zurückblieb die berufliche Laufbahn als Pianist verdorben hatte, fing auf seine alten Tage an, Latein zu lernen. Alle fragten sich, wozu, und betrachteten das als eine Schrulle. Heute kann ich es vollkommen verstehen.
11. Februar 2018 at 10:44
Ich hatte nur fünf Jahre Latein, vor allem die ersten beiden Jahre war ich begeistert dabei. es erleichtert mir den Einstieg in neue Sprachen sehr, ganz zu schweigen von der Fremdwort-Herleitungs-Kompetenz. 🙂
11. Februar 2018 at 11:15
Ich weiß auch nicht, warum ich damals so auf dem Schlauch stand. Vielleicht weil bei mir Sprachen in hohem Maß auch Gefühlssache sind, und mit Latein haut die Gefühlsduselei nicht unbedingt hin. Ich muss sagen, ich hatte auch immer ein Problem, für das Deutsche zu erklären, warum etwas so oder so sein muss. Ich habe es gefühlsmäßig richtig gemacht. 🙂
12. Februar 2018 at 22:39
ich merke, dass ich mit der Rechtschreibung heute öfter zweifle/zögere als „früher“ (vor 10 Jahren).
Ein Seminar „Grammatik für Checker“ (Konjunktiv 4 und Futur 7 in semantischer Abhängigkeit vom Nominalobjekt) hab ich noch nicht gefunden.
Ich finde auch, dass mein Schreib-Stil grammatikalisch relativ einfach ist, was ich gut finde, denn komplizierte Gedanken in komplizierter Sprache liest ja dann keiner mehr… (außer die Absolventen des o.g. Kurses 😉
11. Februar 2018 at 17:16
Ich bin froh über Englisch als lingua franca. Und als ich in Brüssel war, war ich froh , dass sich das Englische in der Europäischen Union gegen das Französische durchgesetzt hat, das ich zwar liebe, was aber immer eine Elitensprache war und auch sein sollte. Allerdings ist es tatsächlich so, dass sich in der EU das Englisch zu einer eigenen Sprache zurückentwickelt hat. Man könnte sie Europaneese oder BSE (bad simple english) nennen. Auch die Briten müssen diese Sprache neu lernen. Mit BBC-Englisch versteht Sie niemand – aber bald werden sie wohl nicht mehr in Brüssel sein. Leider.
11. Februar 2018 at 17:24
Ich gebe ja bis zum Schluss die Hoffnung nicht auf, dass aus dem Brexit nichts wird. Was für eine falsche Entscheidung (die von der Mehrheit junger Briten bedauert wird)!