DSCN4293In Auerbachs Keller

Nun besitze ich es also, das Zertifikat über meinen Besuch in Auerbachs Keller, und das ist wichtig, denn …

„Wer nach Leipzig zur Messe gereist,
Ohne auf Auerbachs Hof zu gehen,
Der schweige still, denn das beweist:
Er hat Leipzig nicht gesehn.“

… so steht es auf dem Dokument. Auf der Messe war ich schon kurz nach der Wende, in Auerbachs Keller aber nicht. Das habe ich in diesem Urlaub nachgeholt.

Und was dachte die Berlinerin? Mensch, das riecht hier ja wie früher bei Aschinger! Tatsächlich zogen Schwaden von Rothohl- und Sauerkrautgeruch über die unzähligen Tische in dem weiten Gewölbe. Mühelos würde dieses Lokal mehrere Busladungen Leipzig-Touristen schlucken und gesättigt wieder ausspucken. Geschmortes vom Schwein mit Rotkohl und Klößen war das Tagesgericht, das wir auch brav bestellten. Doch während das blau-weiß geflieste Aschinger den herben Charme einer Stehbierhalle nie loswurde (und wohl auch nicht loswerden wollte), wird man in Auerbachs Keller im gedämpften, warmen Licht weichgespült, wie auch das Foto oben beweist. Hier begegnet man dem Bürgerlichen in seiner liebenswertesten Form, fühlt sich seltsam geborgen in der Menge der anderen Esser, im Stimmengewirr, im geschäftigen aber nicht hektischen Hin und Her der Kellnerinnen. Alles ist so solide wie Tisch und Stuhl. Das sich manisch Verändernde bleibt draußen, oben, weit außen vor.

Schon Goethe besuchte während seines Studiums in Leipzig 1765-1768 häufig Auerbachs Keller. Hier sah er die beiden Bilder auf Holz, von denen eines den Magier und Astrologen Faust beim Zechgelage mit Studenten zeigt, das andere den selbigen, wie er auf einem Weinfass zur Türe hinaus reitet. Mit der Szene in Auerbachs Keller in Faust I hat er seinem Studentenlokal und der Stadt ein literarisches Denkmal gesetzt. Dafür kann man ihm nicht genug danken, dachte ich, das Bäuchlein mit Geschmortem, Rotkohl und auch noch dem letzten Bissen der Klöße gut gefüllt. Wer weiß denn, ob hier nicht H&M, C&A, dm oder sonst wer ihre Sonderangebote längst ausgebreitet hätten, wären uns unsere großen Dichter nicht doch noch heilig. Und wen wundert es, dass mich bei so viel Zufriedenheit dann doch noch der Teufel ritt… ein kleiner, mundgeblasener, erhältlich in Auerbachs eigenem Souvenirshop. Zwei davon brachte ich meinen Mädels mit, damit sie sie lustig in einer Flasche zappeln lassen können.

Marika liest aus Faust I, Vorspiel auf dem Theater

Direktor.
Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Not und Trübsal, beigestanden,
Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr, der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben lässt.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,
Bei hellem Tage, schon vor vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!

Dichter.
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht,
Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach, was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt, ist für den Augenblick geboren;
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.