Diesen Eintrag hatte ich schon zu Beginn der Woche schreiben wollen, aber etwas gab mir das Gefühl, ich sollte in diesem Fall doch abwarten, bis ich das Buch ausgelesen hätte, bevor ich mir so etwas wie ein Urteil erlaube. Und so müsste es diesmal also wieder heißen: Ich habe gerade gelesen …
Seit einiger Zeit festigt sich bei mir die Gewohnheit, zwischen zwei Büchern der Kategorie anspruchsvolle Literatur etwas Leichtes zu lesen, am liebsten einen Krimi. Das ist für mich wie das Schnuppern an einer Kaffeedose, die einem in guten Parfümerien gereicht wird, damit der Geruchssinn neutralisiert und wieder aufnahmebereit wird für die nächste Duftkreation. Der Nachteil: Die ersten Seiten des Krimis erscheinen mir dann doch nicht als Kaffeedose, sondern eher als kalte Dusche, was den Schreibstil angeht. Ich möchte den Krimi-Autoren gegenüber aber nicht ungerecht sein. Ich erwarte von einem Kriminalroman nicht, dass er mich durch schöne Sprachbilder, feinsinnige Metaphern und gedankliche Höhenflüge begeistert. Ich erwarte Spannung, so etwas wie Glaubhaftigkeit der Charaktere und eine saubere Konstruktion der Handlung. Beim Stil genügt mir handwerkliche Solidität. Wenn ich mich mal eingelesen habe, achte ich kaum noch darauf, vorausgesetzt, der Autor (und sein Übersetzer) enthalten sich eigenwilliger Stilmittel, deren sich nur bedienen sollte, wer es wirklich kann.
Zu Beginn der Handlung lässt Rosa Cerrato ihre Kommissarin Nelly Rosso die Augen öffnen, sich aus dem Bett erheben und in einem großen IKEA-Spiegel spiegeln. Alles andere als eine originelle Art, die Protagonistin einzuführen, und warum ich erfahre, dass der Spiegel von IKEA ist (der Name taucht auch später noch einige Male auf), ist mir etwas unverständlich. Zahlen die dafür? Ist das der neue Realismus? Oder soll nur vermieden werden, dass ich mir, geblendet vom Blick durch das Fenster auf die Riviera, erlesenste Antiquitäten als Interieur vorstelle? – Egal, sage ich mir. Achte einfach nicht darauf. Du liest einen Krimi, und gleich wird etwas passieren. Und das tut es natürlich.
In dem Gymnasium, das Nelly Rossos achtzehnjähriger Sohn Maurizio besucht, findet eine Drogenrazzia statt. Der beste Freund des Sohnes stürzt dabei (dem ersten Anschein nach ganz unvermittelt, dem zweiten Anschein nach, von einer Polizeikugel getroffen) vom Dach des Gebäudes. Dass ich bei dieser Szene und in Verbindung mit dem Buchtitel an „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ denken muss, mag daran liegen, dass ich dieses Buch vor nicht allzu langer Zeit gelesen habe. Dass es mich wundert, dass die Kommissarin nicht wegen Befangenheit von dem Fall entbunden wird, obwohl ihr Sohn in die ganze Geschichte verstrickt zu sein scheint, liegt vielleicht an meiner mangelnden Kenntnis italienischer Verhältnisse. Regelmäßige Donna Leon-Lektüre macht mich ja noch nicht zur Expertin. Also weiterlesen!
Tatsächlich fesselt die Handlung. Keine unnötigen Längen, die Personen durchaus glaubhaft, und zur Abwechslung mal nicht durch angedeutete Kochrezepte und das Hervorheben kulinarischer Genüsse zum Essen verführt zu werden, finde ich auch ganz schön. Misslich erscheinen mir stilistische Extravaganzen, die ich, wie oben gesagt, hier gar nicht erwarte und mit denen die Autorin und/oder ihre Übersetzer auch nicht geschickt genug umgehen. So stört mich zum Beispiel, dass Personen einschließlich der Hauptfiguren immer wieder und ohne erkennbaren Grund nicht mit dem schon eingeführten Namen oder – weil nicht mal der genannt werden müsste, um zu verdeutlichen, wer da gerade etwas sagt oder tut – als er oder sie bezeichnet werden, sondern mit „der Mann“, „die Frau“. Dieses Mittel, von einer Szene abzurücken, hat etwa denselben Effekt, als wenn ein Kameramann exzessiv den Zoom von der Totale zum Close-up verwendet.
Kommen wir zur Konstruktion der Handlung. Auf weiten Strecken fühlte ich mich gut unterhalten, hielt die Autorin also die Spannung, auch wenn ich zwei-, dreimal an kleinen Ungenauigkeiten oder Unschärfen hängen blieb. Unschön dagegen ist der Umgang mit einem Mikrochip, den Nelly Rosso und ihr Freund in einem in einer Socke versteckten Handy im Kleiderschrank des Sohnes finden. Der aufmerksame Leser fragt sich, warum nichts mit diesem Chip passiert, der inzwischen mehrere Menschenleben gekostet hat und dessen Inhalt die Antwort auf viele Fragen sein könnte. Erst mehrere halsbrecherische Autofahrten, eine Schießerei und eine weitere Leiche (achtzig Seiten) später erfahre ich, dass der Chip längst fachmännisch bearbeitet wird, sich allen Versuchen, das Passwort zu knacken, aber widersetzt. So etwas muss nicht sein. Das erhöht nicht die Spannung, und wenn schon nicht die Autorin selbst, so müsste zumindest das Lektorat bei der „Endkontrolle“ darüber stolpern, und der Fehler wäre mit wenigen eingefügten Sätzen zu beheben gewesen.
Überhaupt nicht gefallen hat mir auch der Schluss. Dass seit den letzten Ereignissen zwei Wochen vergangen sind, besagt schon die Überschrift. Dass die Geschichte plötzlich nicht mehr in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwartsform erzählt wird, irritiert nur – umso mehr, als hier das Tempo völlig aus der Handlung genommen ist.
Eine spannende Handlung, weitgehend überzeugende Charaktere, aber diverse Schlampigkeiten bei der Verarbeitung. Schade eigentlich. Eine Leseprobe auszuwählen, konnte ich mich nicht entscheiden. Wer probelesen möchte, findet einen Auszug hier.
Ob Rosa Cerrato, wie „Il Giornale“ laut Text auf der Rückseite des Taschenbuchs behauptet hat, eine Grande Dame des Kriminalromans ist …?
Nun, was nicht ist, kann ja noch werden.

Rosa Cerrato
Schnee an der Riviera
Aufbau Taschenbuch Verlag
ISBN 978-3-7466-2527-0

3. April 2010 at 21:49
Guten Ostersamstagabend Cuenta,
genau jetzt hätte ich Lust, einen einfach aber intelligent
geschriebenen Krimi zu lesen, aber die , die ich mir in
letzter Zeit auch zum Zwischendurchlesen gekauft habe, sind
schon in der FM-Kiste (Flohmarkt-Kiste), nicht bis zum Ende
lesbar. Manchmal greife ich noch auf die alten Sjöwall/ Wahl-
höö zurück, die kann man- mit Abstand – nochmal lesen.
Aber was ich mir da in letzter Zeit zusammengekauft habe
ist einfach nur Schrott und wird entsorgt.
LG Hubertina-Mimi
3. April 2010 at 22:20
Mitternacht vorbei, so dass ich Dir wohl einen schönen Ostermorgen wünschen sollte, liebe Hubertina. – Außerdem höchste Zeit ins Bett zu kommen, aber da ich Deinen Frust über den Mangel an guten Krimis teile, schreibe ich doch noch schnell ein paar Zeilen.
Mein Problem ist, dass ich nicht nur auf die Einhaltung gewisser Normen Wert legen (siehe oben), sondern dass mich bestimmte Themen abstoßen. Krimis, die ausschließlich im Rotlichtmillieu spielen, langweilen mich, und mordende Irre, wie man sie bei den skandinavischen Autoren häufig antrifft, verursachen mir Alpträume. Ich mag die Italiner eher, aber Donna Leon, obwohl sie regelmäßig „liefert“, schafft es nicht, meinen Bedarf zu decken. Camilleri, den ich auch gerne lese, ist ein sehr alter Herr, und man wartet immer länger darauf, dass da was kommt und ob überhaupt. Es kribbelt mich manchmal in den Fingern, selbst Krimis zu schreiben. Dazu fehlt mir zwar nicht die „kriminelle Energie“, wohl aber das Hintergrundwissen um Polizeiarbeit. Um den Beweis solchen Wissens drückt sich zwar auch mancher Autor herum, aber meine Ansprüche an mich selbst wären mir da im Wege. – Wusstest Du, dass die Berliner Kripo eine Beratungsstelle für Krimi-Autoren hat? Das habe ich zufällig herausbekommen, als ich eine Polizei-Frage hatte (es ging um Dienstränge, und handelte sich nicht um einen Krimi-Schreibversuch). Und so greife ich auch immer mal wieder zu den Klassikern wie Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, George Simenon… Bloß, wenn man schon weiß, wie es ausgeht… [seufz]
Also machen wir uns erst mal mit kriminalistischem Gespür auf die Ostereiersuche.
Ein wunderschönes Fest wünsche ich Dir.
Liebe Grüße
cuenta…….